U – und Sebastian der Zauberkünstler

Kennen Sie Raimund Pretzel? Geboren 1907 gestorben 1999 ebenda, war ein deutsch – britischer Journalist, Publizist und Schriftsteller. Ebenso war er promovierter Jurist. Schon wärmer?
Bevor dies ein Ratespiel wird, öffne ich die Tür einen ganzen Spalt und verrate Ihnen, dass Pretzel Ihnen sicherlich unter seinem angenommenen Namen Sebastian Haffner bekannt ist. Bei der Namensfindung standen übrigens Mozarts “ Haffner – Symphonie“ D – Dur KV 385 und Johann Sebastian Bach Pate. Diese Namensgebung war der deutschen Kultur in dunklen Zeiten gewidmet. Er war weder politisch noch rassisch verfolgt und doch emigrierte er 1938 nach England. 1940 vollzog er die Namensänderung mit einer ersten Buchveröffentlichung und wollte so auch seine Verwandten in Nazideutschland vor Verfolgung schützen.
Haffner, der als Kind und junger Mann den Ersten Weltkrieg, die galoppierende Inflation 1923, die Radikalisierung der politischen Parteien und den Aufstieg der Nationalsozialisten erlebte, bevor er 1938 nach England emigrierte, hinterließ in seinem Nachlass Erinnerungen an seine ersten drei Lebensjahrzehnte.
Welch eine literarische Entdeckung, die Haffner bereits als junger Mann hinterlassen hat. Seine Erinnerungen der Jahre zwischen 1914 und 1933, die er 1939 im Exil in England verfasst, sind nicht nur ein zeitgeschichtliches Monument, sondern auch literarisch ein fulminanten Werk, dass man nicht aus der Hand legen mag. Unter dem Titel “ Sebastian Haffner – Geschichte eines Deutschen – Die Erinnerungen 1914 – 1933″, macht Haffner mit großer Weitsichtigkeit und literarischem Talent begreiflich, wie Hitler möglich wurde; noch heute ist dieses Werk – trotz mancher zeitgeschichtlicher Darstellungen – für viele immer noch unerreicht.
“ Die Geschichte, die hier erzählt werden soll, hat zum Gegenstand eine Art Duell. Es ist das Duell zwischen zwei eher ungleichen Gegnern; einem überaus mächtigen, starken und rücksichtslosen Staat, und einem kleinen anonymen unbekannten Privatmann“ eröffnet Haffner seine Erinnerung und holt die Leser/Innen zu einer atemberaubenden Reise in die Vergangenheit ab, ohne die wir auch die Gegenwart kaum treffend verstehen würden. ich möchte dieses Buch unbedingt empfehlen und möchte dafür werben, es nicht als „trockenes historisches Sachbuch“ zu befürchten, sondern als die Erinnerungen eines Zeitzeugen, der auf einzigartiger Weise auf etwas mehr als 280 Seiten Geschichte lebendig werden lässt.
Im März 2002 erfuhren die Kinder Oliver Pretzel und Sarah Haffner, dass ein Historiker im Bundesarchiv zwei Manuskripte gefunden hatte, die zur „Geschichte eines Deutschen“ gehörten. Mit diesen Ergänzungen erhielt das Manuskript den Zustand, den es im Herbst 1939 hatte, als es beiseite gelegt wurde. Im übrigen ist noch erwähnenswert, dass die „Geschichte eines Deutschen“ posthum im Jahre 2000 erschienen ist.

Ein zweites Buch Sebastian Hafners ist nicht weniger empfehlenswert. „Von Bismarck zu Hitler“, erschienen 1987 im Kindle – Verlag, hat Rudolf Augstein wie folgt gewürdigt: “ Haffner, ein Zauberkünstler, kann Bismarcks Innenpolitik, kann die Hitler – Vorzeit, kann den Bismarck – Charakter und den Hitler – Charakter lebendig machen. Man wird darüber nirgends kürzer und plastischer informiert als bei ihm.“
Es ist vielleicht das Buch, das ihn berühmt machte und ich muss sagen, ich ärgere mich ein wenig, dass ich es erst jetzt gelesen habe. Noch ärgerlicher wäre es allerdings, es nicht gelesen zu haben.
Wenn Haffner mit dem Satz beginnt: “ Man sagt immer, das Deutsche Reich wurde 1870/71 gegründet. Aber eigentlich ist das eine irreführende Vorstellung“ zieht Haffner die Leser/Innen umgehend in einen Sog, der unvergleichlich bravourös und sprachlich virtuos deutsche Geschichte zum Leben erweckt. Bismarcks Außenpolitik des Maßes und der Zurückhaltung steht eine Innenpolitik gegenüber, die das Zentrum und die Sozialdemokratie als „Reichsfeinde“ ausgemacht hatte. Nach Bismarcks Entlassung veränderte Kaiser Wilhelm II. die Parameter und seine so veränderte Außenpolitik führte in den folgenden Jahren in den Ersten Weltkrieg. Welche innen/außenpolitischen Ziele der Kaiser verfolgte und wie das Verfehlen dieser Ziele in die Weimarer Republik führte, wird genauso fesselnd beschrieben, wie der Aufstieg Hitlers und der Nationalsozialisten. Ebenso welche Rolle die Verträge von Versailles dabei spielten. Dabei geht jedoch nicht verloren, dass es eher die Innenpolitik war und nicht der Revisionismus der Weimarer Republik, die den Übergang von Weimar zu Hitler bewirkte. Neben den politischen Veränderungen in der Weimarer Republik, die mal zu einer „Weimarer Mitte – Links – Koalition“, dann zu einer „Mitte – Rechtskoalition“und in der Folge auch zu einer „großen Koalition“ von SPD bis zu den Rechtsliberalen führte, was selten politischer Stabilität brachte, erschütterte 1929 die Weltwirtschaftskrise die Republik. Beleuchtet wir dabei auch die Rolle des Reichspräsidenten Hindenburg, was Haffner glänzend gelingt. Die Folgen der Wirtschaftskrise einhergehend mit dem wieder erstarkendem Nationalismus verhalf den Nationalsozialisten und somit Hitler zu ihrem Aufstieg. Auch diese
Hintergründe beleuchtet Haffner absolut lesenswert und fesselnd. Hitlers Ernennung zum Reichskanzler und deren Folgen bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist ebenso Gegenstand, wie eine Art „Nachgeschichte des Deutschen Reiches“, in der Haffner die Nachkriegszeit thematisiert.
Aus heutiger Sicht sehr lesenswert ist auch das Nachwort, dass Sebastian Haffner im Jahre 1990 verfasste. Nach dem Erscheinen des Buches im Jahre 1987, setzt sich Haffner darin mit den Ereignissen in Deutschland 1990 auseinander und räumt ein, dass er diese Ereignisse im Jahre 1987 nicht vorausgesehen hat. Seine Sicht auf die Ereignisse 1990, runden dieses spannende und nie langweilige Sachbuch eines äußerst lesenswerten Autors ab.
Also Leute, Bücher besorgen, Tee, Kaffee oder Wein einschenken, Lieblingsplatz erobern und schmökern.

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